Im Taxi

Er sah nachdenklich aus. So, als wenn Ihn irgend etwas beschäftigte.
Sollte ich Ihn ansprechen? Ich kenne Ihn doch gar nicht.

Doch ein wenig Smalltalk konnte nicht schaden. Schließlich unterhält man sich auch mit seinem Friseur, und einfach die gesamte Taxifahrt zu schweigen, ist ja irgendwie unhöflich. Also versuchte ich es. Die Fahrt würde ja sicher noch eine ganze Weile dauern.

Doch anstatt einen Satz über das Wetter oder den Berufsverkehr zu sagen, fragte ich: „Probleme?“

Mist! So beginnt man doch keinen Smalltalk. Eher eine gewollte Konfrontation. Ich biss mir auf die Lippen und suchte nach einer unverfänglichen Fortsetzung der Frage, da bemerkte ich seinen überraschten Blick in den Rückspiegel auf mich auf der Rückbank.

„Wieso, nein?“

„Ich wollte nicht unhöflich sein, aber es sah so aus, als wären sie etwas abgelenkt.“

Ein Taxifahrer und abgelenkt. Gleich setzt er mich vor die Türe, dachte ich.

„Ja, wissen Sie, es beschäftigt mich schon den ganzen Tag, und ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Ui, jetzt habe ich wohl ins Fettnäpfchen getreten, und er sagt mit, seine Freundin sei schwanger, oder ähnliches. Bevor ich abbrechen konnte, setzte er fort:

„Ich bin im zweiten Lehrjahr. Bald mache ich meine Gesellenprüfung als Facharbeiter für Solaranlagen. Die Arbeit macht mir Spaß. Ich würde sicher in der Firma bleiben können und hätte zusammen mit dem Taxi-Job ein gutes Einkommen. Doch mein Chef, der auch mein Onkel ist, hat mir geraten, weiter zu machen. Ein Ingenieurstudium! Er würde mich auch unterstützen.“

„Das klingt doch toll! Nicht jeder bekommt so eine Chance.

„Ja, das mag sein. Doch das Studium wäre im Ausland. Ich müsste meine Sprachkenntnisse in kurzer Zeit aufbessern und würde lange Zeit ohne meine Freunde hier sein. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen werde.“

Das war es also. So jung und schon Selbstzweifel. Und keine schwangere Freundin – Puh.

„So eine Entscheidung ist sicher nicht leicht. Die kann Dir auch niemand wirklich abnehmen.“

Keine Ahnung, warum ich Ihn jetzt plötzlich duzte.

„Aber ich kann Dir sagen,  dass Du noch viele solche Entscheidungen in Deinem Leben treffen musst, und jedes Mal wirst Du unsicher sein, das richtige zu tun.“

In einer gedanklichen Pause sah Ich Ihn an und bemerkte, dass er sehr aufmerksam meinen Worten folgte.

„Bleibst Du bei Deinem Onkel in der Firma und fährst weiter abends Taxi, wirst Du sicher gut leben können.“

Er nickte.

„Aber kann es nicht sein, dass Du Dich irgendwann einmal fragst, wie Dein Leben gelaufen wäre, hättest Du das Angebot Deines Onkels angenommen und wärst Bauingenieur geworden?“

„Ja, aber so ein Studium ist schwer. Wie soll ich das schaffen? Ich habe selbst die Schule mit Ach und Krach geschafft. Welche Enttäuschung wäre ich, wenn mich mein Onkel so unterstützt, und ich muss nach 3 Semestern vielleicht schon abbrechen?“

Wir hatten den Kern seines Dilemmas getroffen! Er sah sich in Gedanken schon als „Loser“ nach Hause zurückehren.

„Hier geht es nicht um Deinen Onkel, sondern nur um Dich! Ich kann Dir nur sagen: Wenn sich Dir zwei Wege öffnen, der eine vermeintlich leicht, der andere aber schwer und vielleicht unüberwindbar, dann nehme trotzdem den schweren.
Versuche es! Halte Dir aber immer als „Plan B“ den anderen Weg offen. 
Denn solltest erkennen, dass Du den Anforderungen nicht gewachsen bist, dann kennst Du Deine Grenzen.
Dann aufzugeben, ist keine Schwäche, im Gegenteil:
Du wirst später guten Gewissens sagen können, dass Du es versucht hast. Das ist tausendmal besser, als das Gefühl des Zweifels, es nie versucht zu haben.“

Ich war sehr überrascht, so altklug gegenüber jemand aufzutreten, den ich nicht kannte, und dem ich sicher nie wieder begegnen werde. Er sagte lange Zeit nichts, doch seine nächste Reaktion hätte ich nie vermutet. Wieder blickte er in den Rückspiegel:

„Sind sie ein Gott?“

Ich lachte verlegen. Hatte ich wirklich so einen Eindruck hinterlassen?
„Nein, ganz bestimmt nicht. 
Aber ich habe selbst schon mal vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden. Ich habe mir im Studium hohe Ziele gesetzt.
Als ich meine Grenzen erkannte, war es Zeit, den Kurs zu korrigieren und eine nähere Ausfahrt zu suchen. Ich habe es nie bereut, denn es war genau die richtige Entscheidung.“

Er war sichtlich beeindruckt. 

Wir waren am Ziel angekommen. 

Er hätte fast vergessen, das Taxameter zu stoppen und mir die Kosten für die kurze Fahrt zu nennen. Ich stieg aus und winkte Ihm nach. Was mag wohl aus Ihm geworden sein?

Während ich die Haustüre aufschloss, dachte ich noch mal nach.
Man kann tatsächlich sagen, dass ein einfacher Satz mein Lebensmotto geworden ist:

Ziele hoch, und treffe mittig!

Roland aus Friemersheim. 2024

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